Sehr geehrter Herr Mag. Berger, vorab vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen und damit der interessierten Leserschaft mehr Einblicke in spannende Tätigkeiten der Arbeiterkammer (AK) – hier mit Fokus auf das Immobilienrecht im Rahmen des Teams Wohnen – gewähren.
P2M: P2M hat Ihnen den Artikel „Erdgasausstieg in der Praxis? Die Leiden des junge A.“ übermittelt – mit der Bitte der Leserschaft Ihre diesbezüglichen Erfahrungen, basierend auf den relevanten, gesetzlichen, Vorkehrungen, mitzuteilen. Wie geht man mit den, großteils berechtigten, Argumenten wie:
- der Dachraum kann doch für einen Wohnungsausbau verwendet werden – wo soll dann die Wärmepumpe untergebracht werden;
- wenn ich als Eigentümer die Wohnung vermiete kann ich – trotz energetischer Sanierung – nicht die Miete einfach erhöhen damit sich diese Investition rechnet;
- in meinem Alter rechnet sich die Investition nicht mehr;
um?
AK/Berger: Im Rahmen des Zusammenlebens von Wohnungseigentümer:innen müssen regelmäßig Kompromisse gefunden werden. Aktuell besteht keine gesetzliche Verpflichtung zur thermischen Sanierung oder Dekarbonisierung des mehrgeschoßigen Wohnbaus.
Leider hält sich hartnäckig das Gerücht, alle Dekarbonisierungsmaßnahmen müssten einstimmig beschlossen werden. Dabei reicht in vielen Fällen die Beschlussfassung durch die Mehrheit aus. So kann etwa die bestehende zentrale Gasheizung mit Mehrheitsbeschluss gegen eine nicht fossile Zentralheizung getauscht werden. Auch die Dämmung der Gebäudehülle kann mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Ein Schutz der überstimmten Minderheit besteht dabei aber unter Umständen, wenn einzelne Wohnungseigentümer:innen von der Maßnahme übermäßig beeinträchtigt werden oder die Kosten nicht aus der Rücklage gedeckt werden können. Die Gefahr, dass sich eine Maßnahme nicht aus der Rücklage decken lässt, kann die Mehrheit dadurch reduzieren, dass sie eine angemessene Anhebung der Rücklage beschließt.
Eindeutig einstimmig zu beschließen ist der Tausch der bestehenden dezentralen Gasthermen gegen eine Zentralheizung. Solche Maßnahmen, die tatsächlich Einstimmigkeit erfordern, können nicht gegen den Willen einzelner Wohnungseigentümer:innen umgesetzt werden. Das ist im aktuellen Rechtsrahmen auch sinnvoll. Es wäre schlicht nicht einzusehen, wenn die Mehrheit der Minderheit die bestehenden Gasthermen wegnehmen und gegen eine im Contracting betriebene Zentralheizung ersetzen könnte, was meist zu einem eklatanten Kostenanstieg führt und wodurch die Wohnungseigentümer:innen von einem frei abschließbaren Gasbezugsvertrag in ein Vertragsverhältnis mit einem natürlichen Monopolisten gezwungen werden.
Das Gesagte gilt aber natürlich nur für die aktuelle Rechtslage. Eigentlich sollten längst auch die gesetzlichen Weichen gestellt sein, einerseits die Dekarbonisierungsbestrebungen des Einzelnen zu unterstützen und es sollte andererseits ein verbindlicher Zeitplan für die Dekarbonisierung des Wohnbaus vorliegen. Beides kann aber nur flankiert von Maßnahmen des Minderheitenschutzes umgesetzt werden. Schließlich geht die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung mit deren Zentralisierung und in der Folge mit der Monopolisierung der Wärmeversorgung einher. Daher braucht es Mechanismen, die der Mehrheit einen Rahmen vorgeben, in dem die Minderheit nicht unbillig beeinträchtigt wird.
Zu den einzelnen ausgeführten Argumenten kann man folgendes sagen:
Wenn der Dachboden im Zubehör-Wohnungseigentum steht und ein einzelner Wohnungseigentümer den Ausbau des Dachgeschosses plant, dann wird die Wärmepumpe nicht im Dachgeschoss platziert werden können. Man wird einen Platz in allgemeinen Teilen des Hauses finden müssen.
Wenn der Dachboden allgemeiner Teil des Hauses ist und die Eigentümer:innen gemeinsam dessen Ausbau planen, dann werden sie gut beraten sein, die Dekarbonisierung gemeinsam mit dem Ausbau vorzunehmen, um die Wärmeversorgungsanlage richtig zu dimensionieren.
Wer unbefristet vermietet, der kann tatsächlich die Miete während laufendem Mietverhältnis nicht anheben. Allerdings können Mieter:innen auch nicht dazu gezwungen werden, die mitvermietete Gastherme gegen einen Anschluss an eine Zentralheizung zu tauschen. Insofern bedarf es für solche Maßnahmen aktuell ohnehin einer Vereinbarung zwischen Vermieter:in und Mieter:in, um einen Wechsel des Heizungssystems vorzunehmen. Im Rahmen einer solchen Vereinbarung kann natürlich auch der Mietzins neu verhandelt werden.
Wer befristet vermietet oder einen Mietvertrag neu abschließt, der bekommt im Altbau einen Zuschlag zum Richtwert für die thermische Sanierung sowie für die zentrale Wärmeversorgung. Im unregulierten Bereich des Mietrechts wird der Marktmietzins für eine thermisch sanierte Wohnung höher sein als für eine unsanierte Wohnung. Der Marktmietzins für eine Wohnung mit Zentralheizung wird aktuell aber wohl nicht höher sein als für eine Wohnung mit Gastherme, weil die zentralisierte Wärmeversorgung keinen Vorteil für den Mieter bringt. Eher sogar einen finanziellen Nachteil.
Ziel der Dekarbonisierung ist aber insgesamt keine Kostenersparnis. Aktuell kostet die Energie aus einer dekarbonisierten Zentralheizung meist mehr als aus einer dezentralen Gastherme. Die thermische Sanierung mag eine Kostenersparnis bringen. Allerdings ist die Reduktion der Emissionen im Gebäudebestand insgesamt ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Eine etwaige Kostenersparnis kann dabei nur ein positiver Nebeneffekt sein.
P2M: Die obigen Argumente sind wirtschaftlicher Natur (so nicht vorgeschoben) – könnten folglich auch mittels wirtschaftlicher Lösungsmöglichkeiten in Angriff genommen werden. Wie könnte man aber mit persönlichen Befindlichkeiten umgehen, wie z.B.:
- ich möchte mir in meinem Alter den Stress, Baustellenlärm und Staub, bedingt durch die Bau- und Installationsarbeiten, nicht mehr antun;
- mein Rauchfangkehrer hat mir gesagt, dass die Wärmebereitstellung mittels Wärmepumpe bei tiefen Außentemperaturen nicht ausreicht und die Wohnung „kalt“ bleibt.
AK/Berger: Wohnungseigentum ist schlicht kein Alleineigentum. Kompromisse sind deshalb notwendig. Wenn die Wohnungseigentümer:innen etwa die bestehende Gaszentralheizung gegen eine zentrale Wärmepumpe oder Pelletheizung tauschen möchten, dann werden sie dafür einen Mehrheitsbeschluss benötigen. Dabei sind regelmäßig nicht alle Wohnungseigentümer:innen mit einer konkreten Sanierungsmaßnahme einverstanden. Die Minderheit kann allerdings überstimmt werden. Es besteht auch keine Verpflichtung, stets das effizienteste Wärmeversorgungssystem zu wählen.
Wo es hingegen zu Eingriffen in die persönliche Sphäre der Wohnungseigentümer:innen kommt, weil etwa die Gastherme in der Wohnung gegen den Anschluss an die Fernwärme ersetzt werden soll, sieht die Rechtsordnung durchaus sachgerecht vor, dass kein Wohnungseigentümer von der Mehrheit zu seinem Glück gezwungen werden darf. Solange es zivilrechtlich keinen Schutz vor überbordenden Kosten im Rahmen der Fernwärme- und Contractingversorgung gibt, wäre es sozial nicht sachgerecht, hier den Minderheitenschutz aufzuheben.
P2M: Die Lösung der genannten Fragen bedarf wahrscheinlich umfangreicher gesetzlicher Änderungen. Dies auch vor dem Hintergrund der Planungssicherheit für die Wohnungseigentümergemeinschaft, für Erdgasnetzbetreiber aber auch der Erdgasversorger – zumal die anvisierte Klimaneutralität bis 2040 einen enormen Zeitdruck nach sich zieht. Die AK wird ja sehr oft in solche komplexe Gesetzwerdungsprozesse einbezogen – wie sieht die AK/Team Wohnen diese Aufgabenstellung?
AK/Berger: Im mietrechtlichen Bereich geht es primär um Fragen der Verteilungsgerechtigkeit. Wird die Gastherme gegen den Anschluss an eine Zentralheizung getauscht, dann kann das einerseits zu einer deutlich höheren Kostenbelastung für die Mieter:innen führen. Andererseits führen Rückstände bei den Kosten einer Zentralheizung zur Kündigung des Mietverhältnisses, während nicht bezahlte Gasrechnungen „nur“ zur Abschaltung der Gasversorgung führen. Vermieter:innenseitig gibt es dabei Begehrlichkeiten, die Errichtungskosten der zu erneuernden Heizsysteme auf die Mieter:innen abzuwälzen oder doch „zumindest“ die in der Wärmepumpe zum Einsatz kommende Luft an die Mieter:innen verkaufen zu dürfen. Angesichts üppiger Mietzinsreserven ist beides abzulehnen.
Im Bereich des Wohnungseigentums gilt es abzuwägen. Soweit von einer Eigentümergemeinschaft Maßnahmen angedacht werden, die bei Betrachtung der Lebenszykluskosten zumindest nicht wirtschaftlich unvernünftig sind, bedarf es legistischer Erleichterungen. Es gibt aber viele Eigentümergemeinschaften, deren Mitglieder einerseits in Bezug auf ihre Dekarbonisierungs- und Sanierungsambitionen sehr unterschiedlich gestrickt sind und deren Mitglieder andererseits auch finanziell sehr divers aufgestellt sind. Hier darf es schlicht nicht dazu kommen, dass die ambitionierteren Besserverdiener Maßnahmen beschließen, die sich einige Schlechterverdiener im Haus nicht leisten können. Es kann ja nicht sein, dass die Jungfamilie, die neben den Kreditraten für die Wohnung wenig finanziellen Spielraum hat, von der Mehrheit in ruinöse Luxusaufwendungen gezwungen wird.
Insofern besteht zwar einerseits kein Zweifel daran, dass man legistisch für eine leichtere Umsetzung von Dekarbonisierungsmaßnahmen sorgen muss. Das wird aber nur dann sozial verträglich sein, wenn die „Begleitmusik“ stimmt, um soziale Härtefälle zu vermeiden.
Kern legistischer Anstrengungen muss immer sein, Härtefälle zu vermeiden. Die Dekarbonisierung steht und fällt ja letztlich mit der Akzeptanz der Mieter:innen und Wohnungseigentümer:innen.
P2M: Bei gesetzlich vorgegebenen Gasnetzstilllegungen werden – trotz ausreichender Vorankündigungszeiträumen – Erdgasbrennwertgeräte ausgebaut werden müssen die möglicherweise zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Gänze abgeschrieben sein werden. Wie ist mit dieser Thematik umzugehen und welche Stelle sollte sich damit auseinandersetzen.
AK/Berger: Meine Wahrnehmung dazu beschränkt sich auf den wohnrechtlichen Bereich, in dem der Wechsel von dezentralen zu zentralen Wärmeversorgungssystemen ebenfalls dazu führen wird, dass uU ein Mehrheitsbeschluss zur Frustration jener Aufwendungen führt, die einzelne Wohnungseigentümer:innen für die Erneuerung ihrer Gasthermen aufgewendet haben.
Wesentlich ist hierbei die Planungssicherheit. Wer früh genug weiß, dass die Gastherme ein Ablaufdatum hat, der wird seine finanziellen Dispositionen danach richten können.
Probleme wird es aber auch bei entsprechender Planungssicherheit geben. Wenn die Eigentümergemeinschaft beschließt, im Dezember die Wärmeversorgung zu zentralisieren, wird die Wohnungseigentümerin, deren Therme im September irreparabel defekt wird, nicht einfach ohne Heizung und Warmwasser ausharren können.
Bisherige Lösungsansätze betrafen zB die Schaffung eines Marktes für gebrauchte Gasthermen, um die Investitionen in dezentrale Heizungen kurz vor der Umstellung der Wärmeversorgung möglichst gering zu halten. Es wird sicher auch nicht sinnvoll sein, ein defektes Heizwertgerät kurz vor der Umstellung des Heizsystems auf ein Brennwertgerät zu tauschen. Dazu braucht es eine Klarstellung durch den Gesetzgeber.
Gerade im Wohnungseigentum wurde auch angedacht, dezentrale Gasthermen zumindest für eine gewisse Zeit vor der Zentralisierung in die Erhaltungspflicht der Eigentümergemeinschaft zu stellen, um die finanziellen Auswirkungen auf einzelne Wohnungseigentümer:innen möglichst gering zu halten.
Im mehrgeschoßigen Wohnbau kann im Vorfeld der Dekarbonisierung auch eine sukzessive fossile Zentralisierung sinnvoll sein, wie das etwa teilweise von der Sozialbau AG betrieben wurde. Dabei können einzelne defekte Gasthermen durch den Anschluss an eine in allgemeinen Teilen platzierte Gastherme ersetzt werden, an die in der Folge jene Wohnungen angeschlossen werden, deren Gasthermen irreparabel defekt werden.
So hält man die Investitionen in die noch bestehende Gasinfrastruktur möglichst gering.
P2M: Die AK/Team Wohnen wird sicherlich im Prozess „Klimaneutralität im Wohnungseigentum“ wertvollen Input – sowohl in diesbezüglichen Mieter-/Eigentümerangelegenheiten aber auch im Gesetzwerdungsprozess – bringen. Durch die steigende Komplexität der diesbezüglichen AK-Aufgaben stellt sich sicherlich irgendwann die Ressourcen- bzw. Motivationsfrage. Wie könnte die AK/Team Wohnen mit diesen Herausforderungen umgehen?
AK/Berger: Wenn etwas wichtig ist, dann findet man Zeit dafür. Die AK war in den letzten Jahren intensiv in die Verhandlungen zum Erneuerbare-Wärme-Gesetz und in die Arbeitsgruppe im Justizministerium zur wohnrechtlichen Weichenstellung für die Dekarbonisierung eingebunden. Gerade im wohnrechtlichen Rahmen würden wir uns wünschen, dass mehr weitergeht. Das legistische Ziel muss sein, einen möglichst klaren Rechtsrahmen zu schaffen, der in der Folge zu möglichst wenig Konfliktpotential führt und der eine Flut an Gerichtsverfahren vermeidet.
Natürlich wäre es illusorisch zu denken, dass die Dekarbonisierung ohne Rechtsstreitigkeiten vonstatten gehen wird. Die AK wird deshalb weiterhin jedem Mitglied Auskunft über den wohnrechtlichen Rechtsrahmen geben. In Wien erfolgt das seit 2019 im Rahmen einer Wohnrechtshotline. Möglicherweise werden einzelne wohnrechtliche Fragen in Zusammenhang mit der Dekarbonisierung auch gerichtlich im Rahmen von Muster- und Verbandsverfahren zu klären sein.
Die wesentlichen technischen Fragen werden aber andere zu lösen haben.
P2M: Ich bedanke mich nochmals für das Interview und für Ihre dafür aufgewendete kostbare Zeit.